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Urteil des BAG vom 22.04.2004 – 2 AZR 244/03



BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 22.04.2004, 2 AZR 244/03

Sozialauswahl bei unterschiedlichen Wochenarbeitszeiten

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 19. März 2003 - 3 (10) Sa 62/02 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung und die vorläufige Weiterbeschäftigung der Klägerin.

Die am 3. Oktober 1947 geborene Klägerin ist verheiratet, ihr Ehemann ist erwerbslos. Sie war seit dem 1. April 1985 bei der beklagten Stadt bzw. deren Rechtsvorgängerin als Reinigungskraft mit Essensausgabe (Lohngruppe 1/1a BMTG-O) mit einer vertraglich vereinbarten Arbeitszeit von 40 Wochenstunden beschäftigt. Ihre Stelle ist im Stellenplan der beklagten Stadt dem Amt 51 zugeordnet.

Im Jahr 2000 beschloss die beklagte Stadt, die gesamte Schulreinigung an Drittunternehmen zu vergeben. Diese hatten sich gegenüber der beklagten Stadt vertraglich verpflichtet, die Reinigungskräfte zu übernehmen und die Rechte und Pflichten aus den bestehenden Arbeitsverhältnissen der Beschäftigten vor Ablauf eines Jahres nicht zu deren Nachteil zu ändern. Sämtliche Reinigungskräfte des Schulverwaltungsamtes (Amt 40) lehnten die angebotene Übernahme ab. Auch die Reinigungskräfte des Amtes 51 (Jugendamt), denen ein entsprechendes Angebot unterbreitet wurde, erklärten sich zum Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse auf private Dienstleistungsunternehmen nicht bereit.

Am 20. April 2001 beschäftigte die beklagte Stadt in der Schulreinigung (Amt 40) noch 71 Reinigungskräfte. Davon waren 65 Reinigungskräfte mit 40 Wochenstunden, 1 Reinigungskraft mit 35 Wochenstunden, 4 Reinigungskräfte mit 30 Wochenstunden und 1 Reinigungskraft mit 20 Wochenstunden tätig. Zum gleichen Zeitpunkt waren im Amt 51 noch 45 Reinigungskräfte und 101 Reinigungskräfte mit Essensausgabe - vorwiegend im Kindertagesstättenbereich - tätig. Weitere 11 Reinigungskräfte beschäftigte die beklagte Stadt noch in den Theatern; mit diesen Reinigungskräften sind individuelle, vom Spielbetrieb abhängige Arbeitszeiten (Schicht- und Wochenend- sowie Feiertagsdienste) einzelvertraglich vereinbart worden.

Nach Beteiligung des Gesamtpersonalrats und der Einschaltung der Einigungsstelle kündigte die beklagte Stadt mit Schreiben vom 27. Juni 2001 das Arbeitsverhältnis der Klägerin fristgerecht zum 31. Dezember 2001. Gleichzeitig kündigte sie weiteren 70 Reinigungskräften.

Zur Sozialauswahl hatte die beklagte Stadt sämtliche 190 Reinigungskräfte und Reinigungskräfte mit Essensausgabe der Ämter 40 und 51 nach dem Umfang ihrer Arbeitszeit in vier Gruppen eingeteilt, nämlich

Gruppe: 3 Reinigungskräfte mit 20 Wochenstunden Gruppe: 27 Reinigungskräfte mit 30 Wochenstunden Gruppe: 2 Reinigungskräfte mit 35 WochenstundenGruppe: 158 Reinigungskräfte mit 40 Wochenstunden
Die 11 Reinigungskräfte der Theater, die Arbeitnehmerinnen mit besonderem Kündigungsschutz (Mutterschutz, Erziehungsurlaub, Schwerbehinderte, Personalratsmitglieder) sowie 2 mit 36 Wochenstunden beschäftigte Reinigungskräfte des Amtes 51 hatte die beklagte Stadt vorab aus der Sozialauswahl herausgenommen. Innerhalb der vier Gruppen wählte sie entsprechend der Gesamtzahl der entfallenden Stellen die zu kündigenden Arbeitnehmer aus. Dabei legte sie zur Vorauswahl ein Punkteschema zugrunde, das

- je 1 Punkt pro Beschäftigungsjahr bis zu 10 Beschäftigungsjahren
- je 2 Punkte pro Beschäftigungsjahr ab 11 Jahren Beschäftigungszeit
(bis 55. Lebensjahr)
- je 1 Punkt für jedes vollende Lebensjahr (maximal 55 Punkte)
- je Unterhaltspflicht 5 Punkte
- alleinstehend 5 Punkte
- verheiratet, Ehepartner ohne Einkommen 8 Punkte
- verheiratet, Ehepartner mit Einkommen 0 Punkte

vorsah. In der Gruppe der 30-Stunden-Kräfte wählte die beklagte Stadt die ersten vier Mitarbeiterinnen mit der geringsten Punktzahl (61 bis 63 Punkte) aus. Die folgenden acht Mitarbeiterinnen, von denen drei kinderlos sind, erzielten 65 bis 74 Punkte; die Arbeitnehmerin K., die am 9. Juli 1949 geboren und seit dem 2. April 1990 bei der beklagten Stadt bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt ist und keine Unterhaltspflichten hat, kam auf 68 Punkte.

In der Gruppe der 40-Stunden-Kräfte wählte die beklagte Stadt die ersten 59 Reinigungskräfte (53 bis 75 Punkte) zur Kündigung aus. Die restlichen sechs Arbeitnehmerinnen suchte sie aus den Listenplätzen 60 bis 83 (75 bis 79 Punkte) aus; sie kündigte denjenigen Mitarbeiterinnen, die keine unterhaltspflichtigen Kinder haben. Dementsprechend fiel die Auswahl auf die an Nr. 62 platzierte Klägerin, die 75 Punkte erreichte.

Mit ihrer Kündigungsschutzklage hat die Klägerin die Unwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht und ihre Weiterbeschäftigung begehrt. Sie hat die Auffassung vertreten, der Personalrat sei nicht ordnungsgemäß beteiligt worden. Auch sei die Sozialauswahl fehlerhaft, da sie nicht nur innerhalb der nach dem jeweiligen Arbeitszeitvolumen gebildeten Gruppen durchgeführt werden könne. Den unterschiedlichen Arbeitszeiten läge keine Organisationsentscheidung der beklagten Stadt zugrunde. Zumindest die Mitarbeiterin K. sei mit ihr vergleichbar und weniger sozial schutzbedürftig.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 27. Juni 2001 nicht aufgelöst worden ist,

2. die Beklagte zu verurteilen, sie zu unveränderten Bedingungen als Arbeiterin in der Lohngruppe 1a BMTG-O weiterzubeschäftigen.

Die beklagte Stadt hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags die Auffassung vertreten, die Kündigung sei wegen der Vergabe der Reinigungsleistungen an Private aus betriebsbedingten Gründen sozial gerechtfertigt. Die Sozialauswahl sei fehlerfrei. Die Gruppenbildung nach dem jeweiligen Arbeitszeitvolumen sei zum Erhalt der Stellenstruktur im Amt 51 notwendig gewesen. Der Personalrat sei umfassend über alle Gesichtspunkte unterrichtet worden.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der beklagten Stadt zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die beklagte Stadt weiterhin die Abweisung der Klage.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Kündigung sozial ungerechtfertigt, weil die beklagte Stadt bei der Auswahl der zu kündigenden Klägerin die sozialen Gesichtspunkte nicht ausreichend berücksichtigt hat (§ 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG).

A. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Die Kündigung sei wegen der fehlerhaften Beteiligung des Personalrats (§ 67 Abs. 1 Nr. 8, § 57 Abs. 2 LPVG-SA iVm. § 108 Abs. 3 BPersVG) unwirksam. Der öffentliche Arbeitgeber müsse dem Personalrat die für seinen Kündigungsentschluss maßgeblichen Tatsachen einschließlich der Gründe für die Sozialauswahl unaufgefordert mitteilen. Die Gründe, die gerade zur Auswahl der Klägerin geführt hätten, seien dem Personalrat aber nicht vollständig mitgeteilt worden. Die beklagte Stadt habe die Auswahl der letzten sechs Arbeitnehmerinnen mit 40 Stunden innerhalb der Nrn. 60 bis 83 der Liste nach allgemeinen Grundsätzen getroffen, nämlich danach, ob diese Mitarbeiterinnen Kinder hätten. Es sei lediglich kinderlosen Frauen gekündigt worden. Damit sei die beklagte Stadt von den Grundsätzen der Sozialauswahl abgewichen, die sie dem Personalrat im Beteiligungsschreiben mitgeteilt gehabt habe.

Die Kündigung sei aber auch sozial nicht gerechtfertigt und deshalb nach § 1 KSchG unwirksam. Zwar sei sie auf Grund der Privatisierung der Schulreinigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, da im Umfang von insgesamt 2.775 Arbeitsstunden (65 mal 40 Stunden, ein mal 35 Stunden, vier mal 30 Stunden und ein Mal 20 Arbeitsstunden) ein entsprechender Arbeitsbedarf entfallen sei. Jedoch sei die Kündigung nach § 1 Abs. 3 KSchG sozial ungerechtfertigt, weil die beklagte Stadt bei der Auswahl der Klägerin soziale Gesichtspunkte nicht ausreichend berücksichtigt habe. Die Auswahl der Klägerin innerhalb der Gruppe der 40-Stunden-Kräfte halte sich zwar im Rahmen des dem Arbeitgeber insoweit zukommenden Wertungsspielraumes. Die Sozialauswahl sei aber fehlerhaft, weil die beklagte Stadt den Kreis der austauschbaren Arbeitnehmerinnen zu eng gezogen habe. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, die Auswahlentscheidung unter den Arbeitnehmerinnen grundsätzlich ungeachtet ihres unterschiedlichen individuellen Arbeitszeitvolumens zu treffen. Insbesondere hätte sie die Auswahl auf die acht Reinigungskräfte mit 30 Wochenstunden, die nach der Punktetabelle der beklagten Stadt weniger Punkte als die Klägerin aufwiesen, erstrecken müssen. Beim Abbau eines Personalüberhangs stehe nämlich ein unterschiedliches arbeitsvertragliches Arbeitszeitvolumen einer Austauschbarkeit der Arbeitnehmerinnen nicht entgegen, wenn der Arbeitgeber durch die betriebsbedingten Kündigungen lediglich die Zahl der insgesamt geleisteten Arbeitsstunden abbauen wolle. Anderes gelte nur, wenn der Arbeitgeber eine von ihm schlüssig darzulegende, willkürfreie Organisationsentscheidung getroffen habe, nach der eine Verteilung der verbleibenden Tätigkeiten auf eine bestimmte Anzahl von Vollzeit- und Teilzeitkräften erforderlich sei. Dies habe die beklagte Stadt jedoch nicht dargelegt. Deshalb hätte nicht der Klägerin, sondern der Mitarbeiterin K., die deutlich weniger schutzbedürftig als die Klägerin sei, gekündigt werden müssen.

B. Dem folgt der Senat im Ergebnis und in wesentlichen Teilen der Begründung.

Die Kündigung vom 27. Juni 2001 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst, weil die beklagte Stadt bei der Auswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer soziale Gesichtspunkte nicht ausreichend berücksichtigt hat (§ 1 Abs. 3 Satz 1 iVm. Abs. 2 KSchG). Die Klägerin weist deutlich bessere Sozialdaten als die Arbeitnehmerin K. auf. Deshalb kann dahingestellt bleiben, ob die Beteiligung des Personalrats fehlerfrei war.

I. Ein dringendes betriebliches Erfordernis zur Kündigung iSv. § 1 Abs. 2 Satz 3 KSchG ist an sic
gegeben.

Das dringende betriebliche Erfordernis für die ausgesprochene Kündigung ergibt sich aus innerbetrieblichen Gründen. Die beklagte Stadt hat sich zu einer organisatorischen Maßnahme entschlossen, bei deren innerbetrieblichen Umsetzung das Bedürfnis für eine Weiterbeschäftigung mehrerer Reinigungskräfte entfallen ist (s. ua. Senat 7. Dezember 1978 - 2 AZR 155/77 - BAGE 31, 157; 29. März 1990 - 2 AZR 369/89 - BAGE 65, 61; 15. Dezember 2002 - 2 AZR 522/01 - AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 126 = EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 50).

Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts (§ 559 Abs. 1 ZPO) ist davon auszugehen, dass die beklagte Stadt im Jahr 2000 die unternehmerische Entscheidung getroffen hatte, die gesamte Schulreinigung aufzugeben und zukünftig durch Drittunternehmen ausführen zu lassen. Davon war zwar der bisherige Arbeitsbereich der Klägerin im Amt 51 nicht unmittelbar betroffen. Auf Grund der dienstrechtlichen Vergleichbarkeit der Arbeitsplätze von Reinigungskräften wirkte sich der Wegfall der Reinigungstätigkeiten im Amt 40 aber auch auf die Arbeitsplätze im Amt 51 aus. Insoweit besteht zwischen den Parteien in der Revisionsinstanz auch kein Streit mehr.

II. Die Kündigung ist jedoch sozial ungerechtfertigt, weil die beklagte Stadt bei der Auswahl der zu kündigenden Arbeitnehmerin soziale Gesichtspunkte nicht ausreichend berücksichtigt hat (§ 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG).

1. Die soziale Auswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG erstreckt sich innerhalb einer Dienststelle auf die Arbeitnehmer, die miteinander vergleichbar sind. Vergleichbar sind die Arbeitnehmer, die austauschbar sind (Senat 29. März 1990 - 2 AZR 369/89 - BAGE 65, 61; 17. September 1998 - 2 AZR 725/97 - AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 36 = EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 36). Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats bestimmt sich der Kreis der vergleichbaren Arbeitnehmer in erster Linie nach arbeitsplatzbezogenen Umständen, also vor allem nach der ausgeübten Tätigkeit. An einer Vergleichbarkeit fehlt es, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht einseitig auf den anderen Arbeitsplatz um- oder versetzen kann, dh. wenn eine anderweitige Beschäftigung des Arbeitnehmers nur nach einer Änderung der bisherigen Arbeitsbedingungen und damit nur durch Änderungsvereinbarung oder Änderungskündigung erfolgen kann (st. Rspr. des Senats, beispielsweise 17. September 1998 aaO; 3. Dezember 1998 - 2 AZR 341/98 - BAGE 90, 236; 17. Februar 2000 - 2 AZR 142/99 - AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 46 = EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 43; 15. August 2002 - 2 AZR 195/01 - BAGE 102, 197; 5. Dezember 2004 - 2 AZR 697/01 - AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 60 = EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 52). Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, eine Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer dadurch herbeizuführen, dass er einem sozial schutzwürdigeren Arbeitnehmer eine Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen anbietet, um ihm dadurch einen Arbeitsplatz zu verschaffen, der zur Zeit mit einem sozial bessergestellten Arbeitnehmer besetzt ist, dem dann nach sozialen Gesichtspunkten gekündigt werden müsste (BAG 29. März 1990 aaO; KR-Etzel 6. Aufl. § 1 KSchG Rn. 622).

2. Einer Vergleichbarkeit der Klägerin mit den Mitarbeiterinnen des Amtes 40 steht nicht entgegen, dass die Stellen für Reinigungskräfte nur dort weggefallen sind und die Arbeitnehmerinnen des Schulbereichs einem Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse auf die Drittunternehmen widersprochen haben. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts können sich auch die Arbeitnehmer, die einem Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse auf einen Betriebserwerber nach § 613a BGB widersprechen, bei einer nachfolgenden vom Betriebsveräußerer erklärten Kündigung auf eine mangelhafte Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG berufen. Bei der Prüfung der sozialen Auswahlgesichtspunkte sollen dann aber auch die Gründe für den Widerspruch berücksichtigt werden (vgl. 7. April 1993 - 2 AZR 449/92 (B) - AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 22 = EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 30; 21. März 1996 - 2 AZR 559/95 - BAGE 82, 316, 327; 18. März 1999 - 8 AZR 190/98 - BAGE 91,129; 24. Februar 2000 - 8 AZR 167/99 - AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 47 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 104; zuletzt kritisch etwa Lipinski DB 2002, 1214 ff. - keine soziale Auswahl -; Fischer AuR 2002, 291 ff. - keine Einschränkung der Sozialauswahl bei Widerspruch des Arbeitnehmers -, jeweils mwN).

3. Unter Anwendung dieser Grundsätze hat die beklagte Stadt zwar zutreffend alle mit Reinigungsarbeiten beschäftigten Mitarbeiterinnen der Ämter 40 und 51 zunächst in die Sozialauswahl einbezogen. Sie hätte jedoch nicht - was das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat - den Kreis der vergleichbaren Reinigungskräfte auf die jeweiligen Mitarbeiter mit gleichem Arbeitszeitvolumen beschränken und nur innerhalb der einzelnen Gruppen die soziale Auswahl vornehmen dürfen. Eine Vergleichbarkeit der Reinigungskräfte der Ämter 40 und 51 wird noch nicht allein dadurch ausgeschlossen, dass deren unzweifelhaft vergleichbaren Arbeitsaufgaben und Tätigkeiten unterschiedliche arbeitsvertragliche Arbeitszeiten zugrunde liegen.

a) Reduziert sich auf Grund einer arbeitgeberseitigen Organisationsentscheidung lediglich das Arbeitsvolumen bzw. das Stundenkontingent im Betrieb oder in der Dienststelle, so sind nach der Rechtsprechung des Senats teilzeit- und vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer im Rahmen der Sozialauswahl miteinander vergleichbar (vgl. insbesondere 3. Dezember 1998 - 2 AZR 341/98 - BAGE 90, 236; 12. August 1999 - 2 AZR 12/99 - AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 44 = EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 41; Stahlhacke/Preis/Vossen Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 8. Aufl. Rn. 1079; ErfK/Ascheid 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 485; Linck Die Soziale Auswahl S. 60 f.; KR-Etzel 6. Aufl. § 1 KSchG Rn. 625; von Hoyningen-Huene/Linck KSchG 13. Aufl. § 1 Rn. 425b; Hako/Gallner 2. Aufl. § 1 Rn. 732; APS/Kiel § 1 KSchG Rn. 686). Eine andere Lösung, die eine Differenzierung des Auswahlkreises bei der sozialen Auswahl von Teilzeitbeschäftigten einerseits und Vollzeitbeschäftigten andererseits ohne Vorliegen von sachlichen Gründen vornähme, würde auf eine nach § 4 Abs. 1 TzBfG unzulässige Diskriminierung hinauslaufen (vgl. Senat 12. August 1999 aaO).

b) Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Arbeitgeber eine Organisationsentscheidung getroffen hat, nach der aus offensichtlich nicht unsachlichen Gründen Arbeitnehmer gerade mit einem bestimmten Arbeitszeitvolumen zukünftig benötigt werden. Der Arbeitgeber kann regelmäßig auch hinsichtlich der Arbeitszeitgestaltung eine unternehmerische Organisationsentscheidung treffen und Vorgaben machen, an denen das Arbeitsgericht nicht ohne weiteres vorbeigehen kann. In einem solchen Fall wäre eine Sozialauswahl nicht zu beanstanden, die bei diesen organisatorischen Rahmenbedingungen ansetzt (vgl. insbesondere Senat 3. Dezember 1998 - 2 AZR 341/98 - BAGE 90, 236 und 12. August 1999 - 2 AZR 12/99 - AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 44 = EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 41; zusammenfassend: APS/Kiel § 1 KSchG Rn. 684). Allerdings bedarf es dann einer konkreten nachvollziehbaren Darlegung des unternehmerischen Arbeitszeitgestaltungskonzepts und seiner Begründung (vgl. Senat 19. Mai 1993 - 2 AZR 584/92 - BAGE 73, 151; 3. Dezember 1998 aaO).

c) Entgegen der Auffassung der Revision widersprechen diese Grundsätze auch nicht den europarechtlichen Rahmenbedingungen. Insbesondere stehen sie nicht im Widerspruch zu den Rechtssätzen des Europäischen Gerichtshofs in der Entscheidung Birgit Kachelmann ./. Bankhaus Hermann Lampe KG (26. September 2000 - Rs C 322/98 - EuGHE I 2000, 7505; so auch ErfK/Ascheid § 1 KSchG Rn. 485; Hako/Gallner § 1 KSchG Rn. 732). In dieser Entscheidung hat der Europäische Gerichtshof nur ausgeführt, dass eine fehlende Vergleichbarkeit von teilzeit- und vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern im Rahmen des § 1 Abs. 3 KSchG auf Grund objektiver Faktoren gerechtfertigt sein kann. Entgegen der Annahme der Revision hat er jedoch nicht entschieden, dass zwischen vollzeit- und teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern im Rahmen des § 1 Abs. 3 KSchG stets zu differenzieren ist. Auch ergibt sich für den von der Revision befürworteten Umkehrschluss aus dieser Entscheidung nichts. Dabei gilt es auch zu bedenken, dass der Europäische Gerichtshof noch zur Rechtslage vor der Geltung der sog. Teilzeitarbeitsrichtlinie (RL 97/81 EG vom 15. Dezember 1997) entschieden hat. Gerade die Teilzeitarbeitsrichtlinie hat aber eine noch weitergehende Annäherung von Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten zum Ziel (vgl. beispielsweise Dübbers AuR 2001, 24).

d) Dementsprechend hat das Landesarbeitsgerichts zu Recht auch die Reinigungskräfte mit einer vertraglich geschuldeten Arbeitszeit von 30 Wochenstunden in den für die Klägerin auswahlrelevanten Personenkreis miteinbezogen. Für eine zulässige Differenzierung des Personenkreises nach dem Stundenvolumen fehlt es an der konkreten Darlegung einer Organisationsentscheidung bzw. zwingender organisatorischer Vorgaben für eine bestimmte notwendige Verteilung des Arbeitsvolumens. Der bloße Hinweis auf den Stellenplan genügt dem nicht. Er reicht allein nicht aus, um die organisatorischen Notwendigkeiten zu begründen. Der öffentliche Arbeitgeber erfüllt hiermit nur insoweit seine Darlegungslast, als er den Umfang des vereinbarten Arbeitsvolumens bzw. dessen volumenmäßige Reduzierung insgesamt darstellt. Es bedarf jedoch sodann noch einer organisatorischen Umsetzung und deshalb einer Darlegung im Prozess, wie die einzelnen Stellen ggf. dem Stellenplan angepasst werden müssen. Damit steht mit einer Stellenverteilung allein noch nicht fest, auf welches Arbeitsverhältnis der Mangel an Beschäftigungsmöglichkeiten - nach dem Stellenplan - durchschlägt und wer unter Beachtung sozialer Auswahlgesichtspunkte von dem Abbau des Beschäftigungsvolumens nach dem Stellenplan betroffen ist (Senat 12. August 1999 - 2 AZR 12/99 - AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 44).

Die beklagte Stadt hätte somit konkret darlegen müssen, dass und warum eine Weiterbeschäftigung von 23 mit 30 Stunden teilzeitbeschäftigten Reinigungskräften nach ihren organisatorischen Entscheidungen erforderlich gewesen ist. Ein solcher Sachvortrag, beispielsweise durch konkrete Darlegung der Situation in den einzelnen Kindertagesstätten, fehlt.

4. Waren somit die Reinigungskräfte mit 30 Wochen Arbeitsstunden in den auswahlrelevanten Personenkreis der mit der Klägerin vergleichbaren Arbeitnehmerinnen einzubeziehen, so ist unter Berücksichtigung der sozialen Auswahlkriterien nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG die von der beklagten Stadt getroffene Auswahlentscheidung fehlerhaft. Sie hätte zu Gunsten der Klägerin, insbesondere im Verhältnis zur Arbeitnehmerin K., ausfallen müssen.

a) Dies ergibt sich schon an Hand des von der Beklagten verwendeten Punkteschemas. Hiernach erzielte die Klägerin mit insgesamt 75 Punkten deutlich mehr Punkte als die Arbeitnehmerin K. mit lediglich 68 Punkten, obwohl diese sogar als Alleinstehende noch fünf “Extrapunkte” erhalten hatte.

b) Dies gilt um so mehr, als auch die sozialen Auswahlgesichtspunkte zu Gunsten der Klägerin deutlich überwiegen. Die zum Kündigungszeitpunkt 53 Jahre alte Klägern weist gegenüber der 51 Jahre alten Mitarbeiterin K. eine um fünf Jahre längere Betriebszugehörigkeit auf. Hinzu kommt, dass sie noch eine Unterhaltsverpflichtung gegenüber über ihrem erwerbslosen Ehemann hat, wohingegen der Arbeitnehmerin K. keine Unterhaltspflichten obliegen. Damit bestehen in allen drei wesentlichen Sozialdaten Unterschiede zu Gunsten der Klägerin, die in der Zusammenschau deutlich sind und sich nicht mehr innerhalb des allgemeinen Beurteilungsspielraums des kündigenden Arbeitgebers bewegen.

c) Die beklagte Stadt konnte bei der Sozialauswahl auch nicht zu Lasten der Klägerin berücksichtigen, dass diese - wie im Übrigen auch alle anderen Reinigungskräfte - einer vertraglichen Übernahme ihres Arbeitsverhältnisses durch einen privaten Dienstleister nicht zugestimmt hatte. Von einem möglichen Teilbetriebsübergang war sie als Mitarbeiterin des Amtes 51 nicht unmittelbar betroffen. Ein freiwilliges Vertragsangebot eines privaten Dienstleisters als Funktionsnachfolger und dessen Ablehnung hat hingegen keinen Einfluss auf die kündigungsrechtliche Stellung des Arbeitnehmers (vgl. zusammenfassend: Senat 5. Dezember 2002 - 2 AZR 522/01 -).

III. Da die Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht beendet hat, war auch der Weiterbeschäftigungsantrag der Klägerin begründet.

IV. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Rost Schmitz-Scholemann Eylert

Pitsch Sieg

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