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Urteil des BGH vom 09.03.2004 – VI ZR 439/02

VI ZR 439/02 Verkündet am:
9. März 2004
Böhringer-Mangold,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB § 823 Ha; SGB VII § 8 Abs. 1
Nimmt ein Arbeitnehmer die Möglichkeit in Anspruch, mit einem Arbeitskollegen,
der mit einem betriebseigenen Fahrzeug Gerätschaften und Material vom
Betriebsgelände zum auswärtigen Beschäftigungsort transportiert, mitzufahren,
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so handelt es sich bei der Fahrt um einen nach § 8 Abs. 1 SGB VII versicherten
Betriebsweg.
BGH, Urteil vom 9. März 2004 - VI ZR 439/02 - OLG Frankfurt am Main
LG Fulda
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 9. März 2004 durch die Richter Dr. Greiner, Wellner, Pauge, Stöhr und Zoll
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 14. Zivilsenats in
Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 13. August
2002 teilweise aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Fulda vom 28. Februar 2001 wird zurückgewiesen, soweit sie sich
gegen den Feststellungsausspruch hinsichtlich der Sachschäden
des Klägers richtet.
Die weitergehende Revision des Klägers wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen
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Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten
hinsichtlich sämtlicher materieller und immaterieller Schäden aus einem
Verkehrsunfall, den er als Auszubildender der Beklagten zu 2 in einem bei der
Beklagten zu 1 haftpflichtversicherten betriebseigenen Fahrzeug, das von einem
Mitarbeiter, dem Beklagten zu 3, gefahren wurde, auf dem morgendlichen
Weg zu einem auswärtigen Einsatzort erlitten hat. Dort sollten sie auf einer
Baustelle einen Kundenauftrag ausführen.
Der Kläger hatte üblicherweise die Arbeit täglich um 7.00 Uhr aufzunehmen.
Am Unfalltag fand er sich bereits um 6.00 Uhr auf dem Betriebsgelände
der Beklagten zu 2 ein, um mit dem Beklagten zu 3 zur Baustelle zu fahren. Vor
Antritt der Fahrt half der Kläger dem Beklagten zu 3, das Fahrzeug mit Gerätschaften
und Materialien zu beladen, die sie zur Ausführung ihres Auftrages
benötigten. Auf der Fahrt zur Baustelle geriet das vom Beklagten zu 3 gesteuerte
Fahrzeug gegen 6.30 Uhr aufgrund überhöhter Geschwindigkeit ins
Schleudern, kam von der Fahrbahn ab und überschlug sich. Hierbei erlitt der
Kläger eine Trümmerfraktur an der Halswirbelsäule mit inkompletter Querschnittlähmung.
Das Landgericht hat der Klage auf Feststellung der Schadensersatzpflicht
der Beklagten stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das
Oberlandesgericht das landgerichtliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen.
Mit seiner vom Bundesgerichtshof wegen Rechtsgrundsätzlichkeit zugelassenen
Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen
Urteils.
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Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der auf Ersatz "sämtlicher Schäden"
gerichtete Feststellungsantrag des Klägers umfasse seinem Wortlaut nach
sowohl Ersatz von Personenschäden im Sinne von § 104 Abs. 1 SGB VII als
auch Ersatz von Sachschäden. Soweit danach Gegenstand des Rechtsstreits
Sachschäden seien, fehle der Klage bereits das Rechtsschutzinteresse, weil es
dem Kläger zumutbar sei, wegen dieser Schäden Leistungsklage zu erheben.
Der Kläger habe nicht dargetan, daß ihm eine Bezifferung der unfallursächlichen
Sachschäden nicht möglich sei. Soweit der Feststellungsantrag auf Ersatz
zukünftiger noch nicht abschließend bezifferbarer Personenschäden gerichtet
sei, bestehe zwar ein Feststellungsinteresse. Die Feststellungsklage sei jedoch
insoweit unbegründet. Zwar seien die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen
einer gesamtschuldnerischen Haftung der Beklagten erfüllt. Die Haftung der
Beklagten für den vom Kläger erlittenen Personenschaden sei jedoch nach
§§ 104 Abs. 1, 105 Abs. 1 SGB VII ausgeschlossen, da sich der - nicht vorsätzlich
herbeigeführte - Unfall auf einem Betriebsweg ereignet habe. Unter Berücksichtigung
der von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den im
Rahmen der §§ 636, 637 RVO entwickelten Kriterien für die Abgrenzung zwischen
der Teilnahme am allgemeinen Verkehr und innerbetrieblichen Vorgängen
sei der vom Kläger erlittene Unfall als Betriebsweg einzuordnen, weil die
Fahrt in einem unmittelbaren inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit
gestanden habe.
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II.
Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben nur
zu einem geringen Teil Erfolg.
1. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerhaft wegen der Möglichkeit einer
Leistungsklage die Feststellungsklage hinsichtlich der Sachschäden mangels
eines rechtlichen Interesses an der Feststellung im Sinne des § 256 Abs. 1
ZPO als unzulässig abgewiesen, weil der Kläger nicht dargetan habe, daß ihm
eine Bezifferung der unfallursächlichen Sachschäden nicht möglich sei. Dabei
kann dahinstehen, ob - wie die Revision hierzu meint - Personenschaden und
Sachschaden als "Schadenseinheit" miteinander verbunden sind, so daß das
Feststellungsinteresse für den (noch nicht endgültig bezifferbaren) Personenschaden
auch das Feststellungsinteresse für den (möglicherweise bezifferbaren)
Sachschaden begründet. Von der Beklagten zu 3, als einem - für den
Schaden letztlich eintrittspflichtigen - großen Versicherungsunternehmen kann
erwartet werden, daß sie auf ein entsprechendes rechtskräftiges Feststellungsurteil
hin ihren rechtlichen Schadensersatzverpflichtungen nachkommt, ohne
daß es eines weiteren, auf Zahlung gerichteten Vollstreckungstitels gegen die
Beklagten bedarf (vgl. Senatsurteil vom 28. September 1999 - VI ZR 195/98 -
NJW 1999, 3774, 3775).
2. Mit Recht hat das Berufungsgericht demgegenüber die Feststellungsklage
auf Ersatz des dem Kläger durch den Unfall entstandenen Personenschadens
als unbegründet erachtet, weil zugunsten der Beklagten ein Haftungsausschluß
nach §§ 104, 105 SGB VII eingreift.
Nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Unternehmer den Versicherten,
die für ihre Unternehmen tätig sind oder zu ihren Unternehmen in einer sonstigen
die Versicherung begründenden Beziehung stehen, sowie deren Angehöri-
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gen oder Hinterbliebenen nach anderen gesetzlichen Vorschriften zum Ersatz
des Personenschadens, den ein Versicherungsfall verursacht hat, nur verpflichtet,
wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8
Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt haben. Gleiches gilt
nach § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB VII für Personen, die durch eine betriebliche Tätigkeit
einen Versicherungsfall von Versicherten desselben Betriebes verursacht
haben.
Unter den Umständen des vorliegenden Falles liegen nach den unangegriffenen
Feststellungen des Berufungsgerichts die rechtlichen Voraussetzungen
für einen entsprechenden Haftungsausschluß vor.
a) Zwischen den Parteien steht außer Streit, daß der ebenso wie der
Kläger bei der Beklagten zu 2 beschäftigte Beklagte zu 3 als Fahrer des betriebseigenen
Fahrzeugs den für die schweren Verletzungen des Klägers ursächlichen
Verkehrsunfall schuldhaft verursacht und dadurch einen Versicherungsfall
des Klägers im Sinne der §§ 7, 8 SGB VII herbeigeführt hat, ohne vorsätzlich
zu handeln.
b) Aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist auch die Beurteilung des
Berufungsgerichts, daß sich der Versicherungsfall auf einem in die Haftungsbeschränkung
des § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII einbezogenen Betriebsweg ereignet
hat.
aa) Wie der erkennende Senat in seinen Urteilen vom 2. Dezember 2003
- VI ZR 348/02 - und - VI ZR 349/02 - (zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen)
im Anschluß an das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 12. Oktober 2000
- III ZR 39/00 - (BGHZ 145, 311) entschieden hat, können für die Unterscheidung,
ob der Geschädigte den Unfall auf einem in die Haftungsbeschränkung
des § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII einbezogenen Betriebsweg oder einem von
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der Haftungsbeschränkung ausgenommenen, nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB
VII versicherten Weg stattgefunden hat, die Kriterien heranzogen werden, die
von der Rechtsprechung für das frühere Abgrenzungsmerkmal des § 637 RVO
zwischen privilegierten und nicht privilegierten Wegen - nämlich die Teilnahme
am allgemeinen Verkehr - entwickelt worden sind.
Danach ist zwar ein nach § 8 Abs. 1 SGB VII versicherter Betriebsweg
nicht schon allein dann anzunehmen, wenn mit der Fahrt die Förderung eines
betrieblichen Interesses verbunden war; von einem Unfall auf einem Betriebsweg
ist vielmehr nur dann auszugehen, wenn die gemeinsame Fahrt der Arbeitskollegen
selbst als Teil des innerbetrieblichen Organisations- und Funktionsbereichs
erscheint (vgl. Senatsurteile BGHZ 116, 30, 34 f. und vom
2. Dezember 2003 - VI ZR 348/02 - und - VI ZR 349/02).
Rückschlüsse darauf, unter welchen Voraussetzungen dies der Fall ist,
ergeben sich aus dem Grund für die in den §§ 104 ff. SGB VII vorgesehene
Haftungseinschränkung. Deren Rechtfertigung beruht maßgeblich auf dem die
gesetzliche Unfallversicherung mittragenden Gedanken der Haftungsablösung
durch die alleinige Beitragspflicht des Arbeitgebers. Die §§ 104 ff. SGB VII dienen
seinem Schutz, indem seine Haftung - auch hinsichtlich eventueller Freistellungs-
oder Erstattungsansprüche der bei einer betrieblichen Tätigkeit schädigenden
Arbeitskollegen - durch die Einstandspflicht der gesetzlichen Unfallversicherung
beschränkt wird. Dadurch erfolgt ein dem Interesse des Unfallverletzten
gerecht werdender Schadensausgleich. Zugleich wird das Risiko von
Arbeitsunfällen für den Arbeitgeber kalkulierbar und der Betriebsfrieden innerhalb
der betrieblichen Gefahrengemeinschaft gewahrt (Senatsurteile vom
2. Dezember 2003 - VI ZR 348/02 - und - VI ZR 349/02 - jeweils m.w.N.).
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Bei dieser Sachlage ist auch nach neuem Recht ein Weg dann als Teil
des innerbetrieblichen Organisations- und Funktionsbereichs und mithin als
Betriebsweg anzusehen, wenn eine Fahrt maßgeblich durch die betriebliche
Organisation geprägt ist, insbesondere indem sie durch die Organisation
(Werkverkehr, Einsatz eines betriebseigenen Fahrzeugs, Fahrt auf dem Werksgelände)
als innerbetrieblicher bzw. innerdienstlicher Vorgang gekennzeichnet
oder durch Anordnung des Arbeitgebers oder Dienstherrn zu einer entsprechenden
Aufgabe erklärt worden ist (vgl. Senatsurteile vom 2. Dezember 2003
- VI ZR 348/02 - und - VI ZR 349/02 - jeweils m.w.N.; BAG, Urteil vom
30. Oktober 2003 - 8 AZR 548/02 - demnächst AP Nr. 2 zu § 104 SGB VII). In
diesen Fällen ist nach der ratio legis der §§ 104 ff. SGB VII eine Haftungseinschränkung
geboten, weil sich aufgrund der bestehenden betrieblichen Gefahrengemeinschaft
ein betriebsbezogenes Haftungsrisiko verwirklicht hat, von
dem der Unternehmer auch hinsichtlich eventueller Freistellungs- oder Erstattungsansprüche
grundsätzlich befreit werden soll.
bb) Nach diesen Grundsätzen ist die Auffassung des Berufungsgerichts,
daß sich im vorliegenden Fall ein betriebsbezogenes Haftungsrisiko auf einem
Betriebsweg verwirklicht hat, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
Nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts befand
sich der Kläger mit dem Beklagten zu 3 auf dem Weg zu seinem für diesen Tag
von der Beklagten zu 2 vorgegebenen Einsatzort, um einen Kundenauftrag
auszuführen. Die Fahrt erfolgte nicht von der Wohnung des Klägers aus, sondern
vom Betriebsgelände der Beklagten zu 2, der gewöhnlichen Arbeitsstätte
des Klägers. Er half dem Beklagten zu 3, das von der Beklagten zu 2 für die
Fahrt zum auswärtigen Einsatzort zur Verfügung gestellte Kraftfahrzeug mit Gerätschaften
und Materialien zu beladen, die für die Arbeiten auf der Baustelle
erforderlich waren.
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Bereits diese Umstände reichen aus, um die Fahrt als innerbetrieblichen
Vorgang erscheinen zu lassen. Die Unfallfahrt erhält im vorliegenden Fall schon
dadurch ihr Gepräge als Betriebsweg, daß der Beklagte zu 3 das betriebseigene
Fahrzeug im konkreten Fall dazu benutzt hat, um Gerätschaften und Materialien,
die für die Arbeitsausführung benötigt wurden, vom Betriebsgelände
zum auswärtigen Einsatzort zu befördern (vgl. auch § 8 Abs. 2 Nr. 5 SGB VII).
Nimmt der Kläger an einer solchen Fahrt zu einem gemeinsamen auswärtigen
Einsatzort teil, und kommt es dabei zu einem Unfall, so verwirklicht sich aufgrund
der bestehenden betrieblichen Gefahrengemeinschaft kein privates, sondern
ein betriebsbezogenes Haftungsrisiko, von dem die Beklagte zu 2 als Unternehmer
auch hinsichtlich eventueller Freistellungs- oder Erstattungsansprüche
nach dem Rechtsgedanken der §§ 104 ff. SGB VII - wie schon dargelegt -
befreit werden soll.
cc) Unter diesen Umständen kommt es nicht auf den von der Revision
herangezogenen Sachvortrag des Klägers an, der Unfall habe sich vor Beginn
der betrieblichen Arbeitszeit ereignet, es sei ihm freigestellt gewesen, wie er zur
auswärtigen Baustelle komme und es habe keine Anordnung des Arbeitgebers
für ihn bestanden, mit dem Firmenfahrzeug mitzufahren oder dem Beklagten zu
3 beim Aufladen der Gerätschaften und Werkzeuge zu helfen. Ebensowenig
kommt es darauf an, ob das Fahrzeug dem Beklagten zu 3 daneben auch zu
privater Nutzung überlassen worden war und er die Gerätschaften und Materialien
bereits am Vortag hätte aufladen sollen. Entscheidend ist vielmehr, daß der
Kläger tatsächlich die Möglichkeit in Anspruch genommen hat, mit einem Arbeitskollegen,
der mit einem betriebseigenen Fahrzeug Gerätschaften und Material
vom Betriebsgelände zum auswärtigen Beschäftigungsort transportierte,
mitzufahren. Dadurch begab er sich in eine zur betrieblichen Risikosphäre gehörende
Gefahr, bei deren Verwirklichung Ansprüche auf Ersatz des Personenschadens
gegen den Unternehmer und den nicht vorsätzlich handelnden Ar-
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beitskollegen nach §§ 104, 105 SGB VII wegen der Eintrittspflicht der vom Arbeitgeber
finanzierten gesetzlichen Unfallversicherung ausgeschlossen sind.
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 Abs. 2 ZPO.
Greiner Wellner Pauge
Stöhr Zoll

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