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Urteil des BAG vom 26.03.2003 – 5 AZR 186/02

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 26.03.2003, 5 AZR 186/02

Zuschuß zum Krankengeld - Freiwillige Krankenversicherung

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 21. Dezember 2001 - 3 Sa 899/01 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Höhe eines tariflich geregelten Zuschusses zum Krankengeld.

Der Kläger ist bei der Beklagten seit 1975 als Sachbearbeiter gegen ein Monatsbruttogehalt von zuletzt 7.180,00 DM beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet auf nicht näher festgestellter Grundlage der Manteltarifvertrag Nr. 9 zwischen dem Arbeitgeberverband Energie Rheinland-Pfalz e.V. und der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr, Bezirksverwaltung Rheinland-Pfalz (im folgenden: MTV) Anwendung. Dieser Tarifvertrag enthält ua. folgende Regelungen:

"§ 16

Fortzahlung des Entgelts

Krankengeldzuschuß bei Arbeitsunfähigkeit

...

2. Nach einer mindestens einjährigen Beschäftigungszeit erhalten Beschäftigte nach Ablauf von sechs Wochen einen Krankengeldzuschuß; dieser ergibt sich aus dem Unterschiedsbetrag zwischen den Brutto-Geldleistungen des Sozialversicherungsträgers oder der Versorgungsbehörde und dem Nettobetrag der für die ersten sechs Wochen der Arbeitsunfähigkeit gezahlten regelmäßigen Vergütung einschließlich der laufenden Sozialleistungen.

3. Der Krankengeldzuschuß nach Ziff. 2 wird gezahlt für dieselbe Krankheit innerhalb von zwölf Monaten bei einer Dienstzeit (gerechnet bis zum Ende der jeweiligen Arbeitsunfähigkeit)

bis zu drei Jahren für die Dauer von 13 Wochen

von mehr als drei Jahren für die Dauer von 26 Wochen.

...“

Der Kläger ist freiwillig krankenversichert. Seine Monatsbeiträge zur freiwilligen Krankenversicherung beliefen sich im Jahre 2000 auf 890,10 DM und zur Pflegeversicherung auf 109,66 DM. Die Beklagte gewährte einen Zuschuß in Höhe der hälftigen Kosten. Der Eigenanteil des Klägers betrug daher 445,05 DM zur Krankenversicherung und 54,83 DM zur Pflegeversicherung.

Am 22. September 2000 erkrankte der Kläger langfristig. Sein Entgeltfortzahlungsanspruch endete am 2. November 2000. Ab dem 3. November 2000 erhielt er Krankengeld in Höhe eines kalendertäglichen Betrags von 146,84 DM brutto. Die Beklagte errechnete einen Zuschuß zum Krankengeld für sechs Monate in Höhe von insgesamt 87,36 DM, indem sie vom Bruttoverdienst des Klägers neben den gesetzlichen Abzügen auch den Arbeitnehmeranteil zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung absetzte. Demgegenüber vertritt der Kläger die Auffassung, daß der Nettobetrag der für die ersten sechs Wochen der Arbeitsunfähigkeit gezahlten regelmäßigen Vergütung iS des MTV der in der Gehaltsabrechnung der Beklagten ausgewiesene Nettoverdienst sei.

Der Kläger hat - soweit für die Revision noch von Interesse - beantragt,

die Beklagte zur Zahlung von 2.999,28 DM brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank nach dem Diskontsatz - Überleitungsgesetz nach bestimmter zeitlicher Staffel zu verurteilen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Nach § 16 Abs. 2 MTV sei der vom Arbeitnehmer getragene Beitrag zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung mindernd zu berücksichtigen, um eine finanzielle Besserstellung des Arbeitnehmers während des Krankengeldbezugs gegenüber einem gesunden Arbeitnehmer zu verhindern und eine Gleichbehandlung mit pflichtversicherten Arbeitnehmern zu gewährleisten.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung eines weiteren Zuschusses zum Krankengeld gem. § 16 Abs. 2 und 3 MTV.

I. Die Beklagte hat zur Ermittlung des maßgeblichen Nettobetrags der gezahlten regelmäßigen Vergütung zu Recht auch den monatlichen Eigenbeitrag des Klägers zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 499,88 DM abgesetzt.

1. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, daß nicht bereits der Wortlaut der Tarifnorm zu einem eindeutigen Auslegungsergebnis führt.

a) Unerheblich für die Bestimmung der Höhe des tariflichen Nettobetrags ist die Tatsache, daß die Beklagte, wie sich aus der vorgelegten Abrechnung ergibt, den Beitrag zur freiwilligen Krankenversicherung für den Kläger wie bei einem pflichtversicherten Arbeitnehmer abführt. Insoweit handelt sie erkennbar im Auftrag des Klägers und nicht auf Grund gesetzlicher Verpflichtung.

b) Entgegen dem Vorbringen der Revision ist der im MTV verwendete Begriff des Nettobetrags nicht mit dem Begriff des Nettoarbeitsentgelts nach § 47 Abs. 1 Sätze 2 und 3 SGB V gleichzusetzen. "Nettoarbeitsentgelt" hat in der Rechtsterminologie eine bestimmte Bedeutung. Nach § 185 Abs. 1 SGB III ergibt sich das Nettoarbeitsentgelt, wenn das Arbeitsentgelt um die gesetzlichen Abzüge vermindert wird. Von diesem Begriff, den der Gesetzgeber im Zusammenhang mit den Regelungen zum Krankengeld ausschließlich verwendet (vgl. § 47 Abs. 1 Sätze 2 und 3, § 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V), haben die Tarifvertragsparteien aber gerade keinen Gebrauch gemacht. Ihnen kann deshalb nicht unterstellt werden, sie hätten mit dem Begriff des Nettobetrags ohne weiteres das Nettoarbeitsentgelt im Sinne der einschlägigen gesetzlichen Regelungen gemeint. Vielmehr hätte es bei einem entsprechenden Regelungswillen nahegelegen, gerade diesen Begriff in den Tarifvertrag aufzunehmen.

c) "Nettobetrag" ist kein gesetzlich definierter oder verwendeter Begriff. Zwar weist die Revision zutreffend darauf hin, daß er in Klageanträgen zur Bestimmung des zu verzinsenden Teils einer Bruttoforderung Verwendung fand, indem Zahlung eines Bruttobetrags nebst Zinsen in bestimmter Höhe aus dem sich ergebenden Nettobetrag beantragt wurde. Hierunter wurde der Betrag verstanden, der um die vom Arbeitgeber einzubehaltenden und abzuführenden Steuern und Beiträge gemindert ist (BAG Großer Senat 7. März 2001 - GS 1/00 - BAGE 97, 150; BAG 11. August 1998 - 9 AZR 122/95 (A) - AP BGB § 288 Nr. 1 = EzA BGB § 288 Nr. 1). Daß die Tarifvertragsparteien den Begriff des Nettobetrags in diesem spezifischen, prozessual geprägten Verständnis verwendet haben, kann nicht angenommen werden. Der Wortlaut der Berechnungsvorschrift des § 16 Abs. 2 2. Halbsatz MTV deutet demgegenüber darauf hin, daß mit dem Begriff des Nettobetrags lediglich das Ergebnis eines Abrechnungsvorgangs gemeint ist, schließt aber nicht aus, daß neben den zwingenden gesetzlichen Abzügen auch die Beiträge des Arbeitnehmers zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung zu berücksichtigen sind.

2. Der tarifliche Zusammenhang gibt keinen näheren Aufschluß, da der Begriff des Nettobetrags an keiner anderen Stelle des Tarifvertrags Verwendung findet.

3. Die Berücksichtigung des Eigenanteils zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung ergibt sich entsprechend den zutreffenden Ausführungen des Landesarbeitsgerichts aus dem Sinn und Zweck der tarifvertraglichen Gewährung des Zuschusses zum Krankengeld.

a) Die tarifliche Leistung soll das gesetzliche Krankengeld ergänzen und die dem Arbeitnehmer entstehenden wirtschaftlichen Nachteile für den in § 16 Abs. 3 MTV bestimmten Zeitraum mindern, wenn er länger als sechs Wochen arbeitsunfähig ist (vgl. Senat 13. Februar 2002 - 5 AZR 604/00 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Einzelhandel Nr. 82 = EzA TVG § 4 Einzelhandel Nr. 52). Die wirtschaftlichen Nachteile treffen pflichtversicherte und freiwillig versicherte Arbeitnehmer in unterschiedlicher Weise; denn das für die Berechnung des gesetzlichen Krankengelds maßgebliche Nettoarbeitsentgelt ist das um die gesetzlichen Abzüge verminderte Arbeitsentgelt. Zu den Abzügen zählen die Arbeitnehmeranteile der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung bei pflichtversicherten Arbeitnehmern, nicht jedoch die Beiträge freiwillig Versicherter zu ihrer Kranken- und Pflegeversicherung (vgl. KassKomm-Höfler Stand Dezember 2002 SGB V § 47 Rn. 5-7 mwN). Dies führt bei gleich hohem Bruttoentgelt dazu, daß freiwillig Versicherten ein höherer gesetzlicher Krankengeldanspruch zustehen kann.

b) § 16 Abs. 2 MTV unterscheidet anders als vergleichbare Regelungen in anderen Tarifverträgen (vgl. etwa die den Verfahren BAG 13. Februar 2002 - 5 AZR 604/00 - aaO; 24. April 1996 - 5 AZR 798/94 - AP BGB § 616 Nr. 96 = EzA SGB V § 47 Nr. 1 zugrundeliegenden Tarifverträge) nicht zwischen pflichtversicherten und freiwillig versicherten Arbeitnehmern. Hieraus folgt nach dem Sinn und Zweck des tariflichen Krankengeldzuschusses, daß die Eigenbeiträge des Arbeitnehmers bei der Berechnung des Nettobetrags iSd. § 16 Abs. 2 MTV abzuziehen sind. Ließe man sie unberücksichtigt, würde dies dazu führen, daß dem Kläger im Zeitraum des Bezugs des Krankengelds ein höheres Nettoeinkommen als zuvor zustehen könnte. Eigene Beiträge zur Krankenversicherung hat er in diesem Zeitraum nicht zu leisten, denn für die Dauer des Anspruchs auf Krankengeld ist auch der freiwillig krankenversicherte Arbeitnehmer nach § 224 Abs. 1 SGB V von der Beitragspflicht befreit (vgl. KassKomm-Peters Stand Dezember 2002 SGB V § 224 Rn. 2). Der Zweck des tariflichen Krankengeldzuschusses besteht jedoch in der Minderung wirtschaftlicher Nachteile, nicht in der Verschaffung einer Begünstigung im Verhältnis zum Entgeltfortzahlungszeitraum oder zu Zeiten der Arbeitsleistung.

c) Sind die Zuschußleistungen des Arbeitgebers für einen freiwillig krankenversicherten Arbeitnehmer geringer, weil dessen gesetzlicher Krankengeldanspruch höher ist, liegt keine sachwidrige Ungleichbehandlung vor. Die tarifliche Regelung bezweckt nicht gleich hohe Zuschüsse zum Krankengeld für pflichtversicherte und freiwillig versicherte Arbeitnehmer, sondern eine für beide Gruppen vergleichbare Minderung der wirtschaftlichen Nachteile im Zeitraum des Krankengeldbezugs. Der ergänzende Abzug des Arbeitnehmeranteils an den Beiträgen zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung gewährleistet eine wirtschaftliche Gleichstellung der pflichtversicherten und freiwillig versicherten Arbeitnehmer.

II. Die Berechnung der Beklagten ist auch im Ergebnis nicht zu beanstanden. Nach dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien sind die in der Abrechnung für den Monat Oktober 2000 enthaltenen Angaben für den gesamten Entgeltfortzahlungszeitraum (vgl. § 16 Abs. 2 2. Halbsatz MTV) maßgeblich. Danach steht dem Kläger unter Berücksichtigung der gesetzlichen Abzüge ein Nettoverdienst von 4.997,35 DM zu. Nach weiterem Abzug des Anteils des Kläger zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung iHv. insgesamt 499,88 DM und der abgeführten vermögenswirksamen Leistungen iHv. 78,00 DM verbleibt ein berücksichtigungsfähiger Nettobetrag von 4.419,47 DM. Hieraus ergibt sich ein kalendertägliches Nettoentgelt von 147,32 DM. Nach Abzug des Bruttokrankengeldes von 146,84 DM verbleibt ein kalendertäglicher Zuschuß zum Krankengeld von 0,48 DM. Im Hinblick auf die Dienstzeit des Klägers beträgt der Anspruch insgesamt 87,36 DM (0,48 DM/Kalendertag x 7 Kalendertage/Woche x 26 Wochen). Diesen Anspruch hat die Beklagte erfüllt.

III. Der Kläger hat die Kosten seiner erfolglosen Revision nach § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

Müller-Glöge Mikosch Linck

Dittrich Dombrowsky

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